H A M L E T Inhalt | Personenübersicht | Akt I, Szene V

 
Akt I, Szene IV
Hamlet, Horatio, Marcellus treten auf.
 
Hamlet: Die Luft beißt scharf; es ist sehr kalt.
Horatio: Es ist eine rauhe und scharfe Luft.
Hamlet: Um welche Stunde ist's?
Horatio: Ich glaube, es fehlt noch an zwölf.
Marcellus: Nein, es hat schon geschlagen.
Horatio: Ist's wahr? Ich habe es nicht gehört. So kommt denn die Zeit näher, wo der Geist umzugehen pflegt.
  Ein Trompetenstoß und Geschützsalve innerhalb.
  Was bedeutet dies, mein Prinz?
Hamlet: Der König wacht die Nacht und trinkt sich einen Rausch; er hält ein Trinkgelag, und der prahlerische Emporkömmling taumelt. Wenn er den Rheinwein in Zügen niederschlürft, verkünden Pauken und Trompeten seinen Sieg beim Bescheidtrinken.
Horatio: Ist das Sitte?
Hamlet: Ja, wahrlich, sie ist's, aber bei meiner Seele, - obschon ich hier heimisch und unter solchen Bräuchen geboren bin - es ist eine Sitte, die ehrenvoller aufzuheben, als zu bewahren wäre. Dies Nachtschwärmen mit schwerem Kopfe macht uns in Ost und West verschrien und zieht uns den Tadel andrer Völker zu. Sie nennen uns "Säufer" und beflecken durch ein grobes Beiwort unsren Namen; und in Wahrheit nimmt es unsren Taten, wenn schon großartig ausgeführt, das Höchste und Beste unsres Ruhmes. So geschieht es oft, einzelnen Menschen, die von der Natur gezeichnet sind, wie durch ihre Geburt - woran sie unschuldig sind, indem sich niemand seine Herkunft wählen kann -, durch ein Übermaß irgendeines Temperaments, das die Wälle und Festen der Vernunft niederbricht, oder durch eine Gewohnheit, die zu viel von der hergebrachten Sitte abweicht, daß diese Menschen, sag' ich, die den Stempel eines Fehlers tragen, enweder als Livree der Natur oder durch Wahl des Zufalls, daß deren Tugend - seien sie so rein wie die Tugend selbst, so unendlich, wie man sie denken kann - dem allgemeinen Urteil nach durch den einen Fehler verdorben werden. Eine Spur des Schlechten zieht oft allen edleren Gehalt zur eignen Schande herab.
  Der Geist kommt.
Horatio: Seht, mein Prinz, es kommt.
Hamlet: Beschützt uns, Engel und der Sel'gen Geister,
Bist Du ein Geist des Heils, ein Teufelsspuk,
Umgibt Dich Himmels Luft, der Dunst der Hölle,
Bist gottlos Du, bist Du des Mitleids wert,
Du kommst in so verdächtiger Gestalt,
Daß ich Dich sprechen will; ich heiß' Dich Hamlet,
Mein König, Vater Dich: Antworte mir,
Laß mich unwissend nicht vergehn, nein, sprich,
Warum Dein heilig und bestattetes Gebein
Sein Leichentuch verließ; warum Du hast
Des Grabes schweren Marmormund geöffnet,
Worin wir ruhig Dich beerdigt sahn,
Warum Du auferstehst; was soll's bedeuten,
Daß Du, ein Toter, ganz gerüstet wieder,
Des Mondes Strahlen Schimmer so besuchst,
Furchtbare Nacht verbreitend, daß uns Narren,
Mit Bildern jenseits unsrer Geistessphäre,
So schrecklich das Gemüt Du uns erschütterst?
Sag an: Warum? Weshalb? Was solln wir tun?
Horatio: Es winkt Euch, mit ihm fort zu gehn, wie wenn es Euch allein etwas zu vertrauen wünschte.
Marcellus: Seht, mit wie freundlicher Gebärde es Euch zu einem entlegneren Orte winkt. Aber geht nicht mit ihm.
Horatio: Nein, auf keine Weise.
Hamlet: Wird es nicht sprechen, so werd' ich ihm folgen.
Horatio: Tut es nicht, mein Prinz.
Hamlet: Warum? Was soll ich fürchten? Ich gebe für meine Leben nicht einer Nadel wert, und was kann es meiner Seele tun, die unsterblich ist, wie es selbst? Es winkt mich wieder fort, ich werd' ihm folgen.
Horatio: Wie, mein Prinz, wenn es Euch der Flut zuwärts lockte oder auf die schreckenvolle Höhe der Klippe, die über ihren Grund fort in das Meer hinausragt? Und dort irgendeine andere fuchtbare Gestalt annähme, welche Eurer Hoheit des Verstandes berauben und zum Wahnsinn führen könnte? Denkt daran: Derselbe Ort schafft Bilder der Verzweiflung, ohne weiteren Beweggrund, in jedes Hirn, der so viel Klafter tief in das Meer hinabschaut und es unten brausen hört.
Hamlet: Noch winkt es mir: Geh voran, ich will Dir folgen.
Marcellus: Ihr werdet nicht gehn, mein Prinz.
Hamlet: Nehmt Eure Hände fort.
Horatio: Beherrscht Euch, Ihr dürft nicht gehn.
Hamlet: Mein Schicksal ruft laut und macht jede kleinste Fiber dieses Körpers so fest wie die Nerven des nemäischen Löwen.
  Der Geist winkt.
  Noch werd' ich gerufen; laßt mich los (sich von ihnen losreißend). Beim Himmel, ich will den, der mich hindert, zu einem Geiste machen: - Ich sage, fort: Geh voran - ich will Dir folgen.
  Geist und Hamlet ab.
Horatio: Seine Verzweiflung wächst mit der Einbildung.
Marcellus: Laßt folgen uns; es ist nicht recht, ihm hierin zu gehorchen.
Horatio: Ihm nach: Zu welchem Ausgang wird das führen?
Marcellus: Etwas ist faul im Staate Dänemarks.
Horatio: Der Himmel mög' es leiten.
Marcellus: Nun, laßt uns ihm folgen.

 
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